Die Familie Langthaler in den Tagen der „Mühlviertler Hasenjagd“
Anna Hackl, geborene Langthaler, aus Schwertberg war 14 Jahre alt, als ihre Familie im Februar 1945 unter höchster Gefahr zwei aus dem KZ Mauthausen geflohene sowjetische Häftlinge bei sich aufgenommen und bis zur Befreiung im Mai versteckt hat. Noch heute ist sie beinahe pausenlos als Zeitzeugin unterwegs. Über ihre Geschichte und ihre Motivation, diese zu erzählen, spricht sie mit uns im Interview.
Deine Familie hat 2 KZ-Häftlinge unter Lebensgefahr versteckt,
während der Großteil weggeschaut oder sich an der Menschenhatz beteiligt
hat. Warum?
Fünf meiner Brüder waren zu der Zeit im Krieg eingerückt. Meine Mutter
war sehr christlich und hat versprochen, dass jeden Tag jemand in die
Kirche geht, bis alle fünf wieder heil zu Hause sind. Was dann auch
passiert ist. Am Tag des Ausbruchs der Häftlinge aus dem KZ Mauthausen
ist meine Schwester Mitzel in der Kirche gewesen. Sie hat am
Nachhauseweg gesehen, wie die getöteten Häftlinge an den Füßen zusammen
gebunden über die Straße geschleift wurden. Es war furchtbar. Da hat
meine Mutter gesagt, wenn zu uns einer kommt, wir helfen. Geklopft hat
es dann erst am nächsten Morgen an der Haustüre und für meine Mutter war
sofort klar, dass Michail, der sich als Dolmetscher ausgegeben hat, bei
uns versorgt wird und wir ihn und Nikolai verstecken werden. Sie hat
gesagt, auch auf sie wird eine Mutter zu Hause warten. Meine Mutter hat
die Verantwortung für die ganze Familie dafür auf sich genommen.
Offiziell hat es geheissen, es seien 500 Schwerverbrecher aus dem KZ ausgebrochen. Hattet ihr Angst?
Wie sollten wir da Angst haben. Sie waren ja wirklich nur mehr Haut und
Knochen. Bekleidet waren sie nur mit dem gestreiften Häftlingsgewand.
Ihr habt Michail und Nikolai bei euch versteckt. Lebt die Angst da immer mit?
Wir hatten 3 Monate immer Angst. 2 Mal wurde der Hof von der SS
durchsucht, aber sie haben die beiden wie durch ein Wunder nicht
gefunden. Diese Angst hat uns zusammengeschweißt, wir wurden eine
richtige Familie.
Wie hat man in Schwertberg reagiert, als bekannt wurde, dass ihr Häftlinge versteckt hattet?
Nicht alle Reaktionen waren positiv. Wir haben viele anonyme
beleidigende Briefe erhalten, direkt ins Gesicht gab es aber keine
negativen Äußerungen.
Wie ist das heute?
Erst mit dem Film von Andreas Gruber, der 1995 herausgekommen ist, wurde
über die „Hasenjagd“ gesprochen. Da haben schon viel gesagt, man soll
nicht wieder mit dieser Geschichte anfangen. Seit 1995 bin ich auch
laufend vor allem bei Schulklassen und Jugendgruppen, um über die
Geschichte zu berichten, das wird auch immer mehr. Im vergangenen Jahr
war ich 50 Mal unterwegs. Natürlich gibt es auch heute viele, die sagen,
man soll endlich aufhören. Aber so lange ich kann, fahre ich und
erzähle darüber.
Warum?
Weil ich mir denke, ich muss die Geschichte weitererzählen, damit die
Jungen wissen, wie es war. Und ich sage immer, seid vorsichtig, wenn
wieder einer kommt, der vieles verspricht.
Anna Hackl wurde mit dem Menschenrechtspreis des Landes OÖ und dem Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich geehrt.
Menschenhatz im Mühlviertel
Dunkles Kapitel in der Geschichte einer ganzen Region
Im Block 20, dem Todesblock des KZ Mauthausen waren 1944 und 45 so genannte K-Häftlinge inhaftiert, zum Großteil sowjetische Offiziere. K stand für Kugel und bedeutete Tod durch Erschießen. Tatsächlich wurden die meisten unter schlimmsten Umständen zu Tode gefoltert. Am 2. Februar 1945 wagten sie einen Ausbruch aus dem KZ, dem eine fürchterliche Menschenhatz folgte.
„Mühlviertler Hasenjagd“. Unter diesem von der SS geprägten Ausdruck ging die auf den Massenausbruch folgende Jagd auf die etwa 500-700 geflohenen Häftlinge in die Geschichte ein.
Gleich nach dem Ausbruch wurde von der SS unter Einbeziehung von Volkssturm, Hitlerjugend, Gendarmarie, etc. die Verfolgung aufgenommen. Die Parole lautete, es seien 500 Schwerverbrecher aus dem KZ Mauthausen ausgebrochen, „Niemand soll gefangen werden, alle sind sofort umzulegen“.
Tatsächlich begann in den Gemeinden des unteren Mühlviertels eine
grausame Hatz auf die ohnehin schwachen und nur in Häftlingslumpen
gekleideten Geflohenen, denen die Flucht durch Neuschnee und Kälte
zusätzlich erschwert wurde. An dieser mörderischen Jagd auf die
Häftlinge beteiligten sich auch viele Zivilisten. Manche ermordeten
Häftlinge und rühmten sich dieser Tat. Andere verrieten sie an die SS.
Unter Gefährdung ihres Lebens gab es aber auch Menschen, die Widerstand
leisteten, indem sie den SS-Anordnungen nicht Folge leisteten und den
Häftlingen Kleidung oder Lebensmittel zukommen ließen. Einige wenige
brachten höchsten Mut auf und versteckten Häftlinge. Letztendlich haben
von den mehr als 500 Geflohenen nur 11 die Menschenhatz überlebt. Alle
anderen wurden ermordet.
Aufarbeitung und Gedenken
In der Nachkriegszeit wurde kaum bis gar nicht über diese Ereignisse
berichtet, weil die zivile Bevölkerung davon direkt betroffen war. Eine
erste inhaltliche Aufarbeitung erfolgte durch Peter Kammerstätter. Erst
mit dem Film „Hasenjagd. Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“, der
1995 ausgestrahlt wurde, begann eine öffentliche Auseinandersetzung.
Mittlerweile gibt es in einigen Gemeinden, in denen die „Hasenjagd“
stattfand, aktive Aufarbeitungsarbeit und Denkmäler, die daran erinnern.
Buchtipp
Matthias Kaltenbrunner
Flucht aus dem Todesblock
Der Massenausbruch sowjetischer Offiziere aus dem Block 20 des KZ Mauthausen und die „Mühlviertler Hasenjagd“
448 Seiten/39,90 Euro
Studienverlag
Das Buch umfasst neben einer konkreten Beleuchtung der Ereignisse eine detailierte Sammlung der Biographien der Überlebenden.