Anna Hackl: Rede beim Fest der Freude

Rede der Zeitzeugin Anna Hackl beim Fest der Freude am 8. Mai 2023 am Wiener Heldenplatz

Sehr geehrte Damen und Herren,

als 14 jähriges Mädchen erlebte ich die furchtbaren Ereignisse rund um die Menschenhatz im Mühlviertel im Frühjahr 1945.

5 meiner Brüder waren im Krieg eingerückt und für meine Mutter, die sehr christlich war, war klar, bis alle zu Hause sind, geht jeden Tag jemand in die Kirche. Meine Schwester Miazal war am Tag des Ausbruchs in Schwertberg und berichtete erschrocken über den Anblick der Leichen, die im Ort an den Füßen zusammengebunden und zum Lastwagen gezogen wurden. Für meine Mutter war klar, „Waun zu uns ana kummt, wir höfan!“.

Am Morgen des 3. Februar hat es tatsächlich an unserer Haustüre geklopft. Die Mutter öffnete  und es stand ein Mann mit Hut, in eine Decke gehüllt und nicht passenden Schuhen vor der Türe. Er stellte sich als Dolmetscher aus Linz vor. Meine Mutter nahm ihn bei der Hand , sagte „ich weiß schon, wer du bist“ und führte ihn in die Küche. Sie sagte ihm, ich habe auch fünf Söhne im Krieg und du wirst auch eine Mutter haben, die auf dich wartet.

Daraufhin ging Mutter zu Vater ins Schlafzimmer und fragte ihn, ob er etwas gehört hatte. Mutter hat ihm gesagt, dass sie dem Häftling helfen will, Vater war dagegen, weil er Angst um die Familie hatte. Aber Mutter hörte nicht auf und hat sich gegen Vater durchgesetzt. Vater hat daraufhin zu ihr gesagt: Aber auf deine Verantwortung.

Als mein Bruder Alfred den Häftling Michael antraf, fragte er nach seinen Kameraden. Somit erfuhren wir von Nikolai, der sich am Heuboden versteckt hatte.

Am nächsten Tag ging ich gemeinsam mit den Eltern in die Kirche nach Schwertberg. Am Weg kam eine große Suchtruppe der SS mit Hunden in Richtung unseres Hofes. Die Eltern schickten mich daraufhin nach Hause, um gemeinsam mit meiner Schwester Miazal die beiden Häftlinge am Heuboden besser zu verstecken und das Geschirr runter zu räumen. Als der SS-Trupp das Haus durchsuchte, fanden sie die beiden Versteckten tatsächlich nicht. Das ist uns bis heute ein Rätsel.

Auch am nächsten Tag fand wieder eine große Suchaktion statt. Ich war gerade mit meiner Mutter in Schwertberg und mein Bruder Alfred, der sich als Volkssturm-Mitglied an der Suche beteiligen musste, schickte mich wieder nach Hause. Wir sollten Michael und Nikolai vom Heuboden auf den Dachboden des Hauses bringen. Mein Bruder bemühte sich darum, zu dem Suchtrupp nach Winden eingeteilt zu werden.

Nachdem wir in der Gegend für unseren guten Most bekannt waren, lud Alfred mit Mutter den Suchtrupp zu Jause und Most in die Stube. Dadurch wurde im Haus nicht nach Häftlingen gesucht.

Nach dem Ausbruch der Häftlinge aus dem KZ Mauthausen mussten wir mitansehen, wie sich die Zivilbevölkerung an der Suche und Ermordung der Häftlinge beteiligt hat. Das musste ich in Schwertberg miterleben und es hat mich furchtbar erschreckt.

Wir konnten im Feburar 1945 noch nicht abschätzen, wie lange der Krieg noch dauern würde. Michael und Nikolai waren drei Monate bis zu Befreiung bei uns zu Hause versteckt. Immer wieder kam es zu brenzligen Situationen und wir lebten drei Monate in großer Angst.

Diese Situation hat uns alle eng aneinander geschweißt. Wir wurden eine große Familie, Michael und Nikolai wurden wie Geschwister. Meine Mutter hat immer gesagt, „Ich habe nicht sechs, sondern acht Söhne.“

Das Ende des Krieges und die Befreiung erlebten wir als großen Glücksmoment. Nach einem Monat mussten Michael und Nikolai ihre Heimreise antreten. Schweren Herzens mussten wir uns voneinander verabschieden. Der Kontakt brach daraufhin leider auf lange Zeit ab. Mit einer großen Suchaktion in den sowjetischen Medien konnten wir nach 19 Jahren den Kontakt zu den beiden wieder aufnehmen. Daraufhin hat sich eine lebenslange Freundschaft entwickelt.

Seit 1995 der Film „Vor lauter Feigheit gibt es kein Erbarmen“ ausgestrahlt wurde, ist auch das Interesse an der Geschichte zur Menschenhatz im Mühlviertel groß geworden. Seither bin ich unterwegs, hauptsächlich an Schulen, um über diese Geschichte meiner Familie zu berichten. Mein Anliegen an die Schülerinnen und Schüler ist, wachsam und vorsichtig zu sein, damit so etwas nicht wieder passiert. Weil wir leben heute wirklich in einem guten schönen Land und dass es so bleibt, wünsche ich euch von ganzem Herzen.

Vielen Dank.