Rede anlässlich der Befreiungsfeier in der Gedenkstätte Mauthausen bei der Gedenkfeier der Sozialdemokratischen FreiheitskämpferInnen am 5. Mai 2019.
Liebe Genossinnen und Genossen,
am Tag genau vor 74 Jahren haben die Alliierten das Konzentrationslager Mauthausen befreit.
Erst diese Woche wurde die Holocaust Knowledge and Awareness Study veröffentlicht, wonach es große Wissenslücken zu diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte gibt. Mehr als die Hälfte der Befragten in Österreich weiß nicht, dass in der Shoah 6 Millionen Juden und Jüdinnen ermordet wurden.
Heute können nur noch wenige Überlebende, wenige ZeitzeugInnen darüber berichten, was sie in den Konzentrationslagern erleben mussten, auf absehbare Zeit werden auch sie uns fehlen. Ich erinnere uns heute im Besonderen an unseren lieben Freund und antifaschistischen Kämpfer bis zu Letzt, Rudi Gelbard, der im Vorjahr verstorben ist.
Ich verneige mit im größtem Respekt vor Anna Hackl, die laufend als Zeitzeugin unterwegs ist und die Geschichte ihrer Familie erzählt. Ihre Familie hat im Frühjahr 1945 3 Monate lang 2 entflohenen Häftlingen der furchtbaren Menschenhatz, die später als „Mühlviertler Hasenjagd“ in die Geschichte eingehen sollte, versteckt und ihnen so das Leben gerettet. Liebe Anna, danke für euren Mut und eure Menschlichkeit. Danke für dein Engagement, ich freue mich, dass du heute hier bist!
Lassen wir nicht zu, dass ihre Geschichten verblassen. Lassen wir nicht zu, dass das, was sie erlebt, ja überlebt haben, in Vergessenheit gerät.
Es ist unsere Aufgabe, die Aufgabe der Generationen der Nachgeborenen, ihre Geschichten am Leben zu erhalten, sie weiter zu erzählen. Ja, wir müssen ihre Geschichten adoptieren, wissend, dass wir uns – zum Glück – nicht vorstellen können, welche Qualen sie erleben mussten, welche Ängste sie ausgestanden haben. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass nicht in Vergessenheit gerät, was sich vor einem Dreiviertel-Jahrhundert in Europa zugetragen hat.
Gekommen ist das nicht überraschend, nicht von heute auf morgen. Begonnen hat es mit vielen, vielen kleinen Schritten. Jeder zu klein für eine große Empörung, wie Michael Köhlmeier richtig gesagt hat. Und diese vielen kleinen Schritten führten letztlich zum großen Bösen.
Es hat nicht mit Dachau, Auschwitz oder Mauthausen begonnen. Es hat begonnen mit Ausgrenzung, Diskriminierung, Entrechtung und damit, Menschen zu Sündenböcken zu machen. Es hat geendet mit KZ- und Vernichtungslagern, mit Verfolgung, Inhaftierung, Folter und Ermordung von Millionen von Menschen, von Juden und Jüdinnen, Roma, Sinti, religiös und politisch Andersdenkenden, von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und von Kriegsgefangenen.
Heute erleben wir, dass die Grenzen des politisch Möglichen täglich weiter nach rechts verschoben werden. Dass Menschen und Bevölkerungsgruppen ungeniert gegeneinander ausgespielt werden. Dass das bisher Unsagbare auf einmal laut ausgesprochen wird. Dass das, was vor ein paar Jahren noch unmöglich schien, auf einmal möglich wird. Dass die Pressefreiheit angegriffen und kritische Journalistinnen und Journalisten bedroht werden. Dass sich Minister über den Rechtsstaat stellen und der Vizekanzler der Republik die Sprache der rechtsextremen Identitären übernimmt.
Ja, dass es sogar wieder so weit kommt, dass Menschen aufs unwürdigste entmenschlicht und als Ratten bezeichnet werden. Wir zählen 61 rechtsextreme, rassistische oder antisemitische Vorfälle der FPÖ seit Regierungsangelobung. Und ja, wir haben davor gewarnt, was es heißt, diese Partei in Regierungsverantwortung zu nehmen. Deshalb kann ich hier auch den Bundeskanzler und die ÖVP nicht aus der Verantwortung dafür nehmen.
Und ich sage an dieser Stelle auch ganz klar, dass meiner Meinung nach Rotblau niemals eine Option sein kann.
In ihrer 130jährigen Geschichte ist die Sozialdemokratie immer auf der richtigen Seite gestanden. Unsere Genossinnen und Genossen wurden im Faschismus verfolgt und grausam ermordet, stellvertretend für sie alle erinnere ich im Besonderen an Richard Bernaschek, der hier nur wenige Tage vor der Befreiung ermordet wurde und an die im KZ Ravensbrück ermordete Käthe Leichter. Ihnen allen gebührt unser höchster Respekt.
„Wehret den Anfängen“ ist längst überholt! Wir sind mittendrin! sagt die Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano. Und sie hat Recht, es waren schon viel zu viele Schritte, in eine Richtung, die wir nie mehr gehen wollten. Dennoch, wir sind heute um unser Geschichtswissen reicher. Nutzen wir das in unserer täglichen Arbeit, lassen wir nicht zu, dass es noch einmal so weit kommt. Empören wir uns jedes Mal aufs Neue, weil diese Entwicklung unsere Empörung braucht. Schauen wir hin, stehen wir gemeinsam auf und sind wir laut, wenn es uns braucht. Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!
Freundschaft!