Esther Bejarano: „Wir sind schon mittendrin!“

foto: VOLKER WEIHBOLD esther bejarano

Esther Bejarano: Vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Rap-Band

Die 1924 geborene deutsch-jüdische KZ-Überlebende Esther Bejarano tritt immer noch gemeinsam mit den Rappern der Microphone Mafia auf. Im November 2016 habe ich sie bei einem Konzert in Linz zu einem Interview gebeten. Sie erzählte mir über ihre Erlebnisse während der Nazi-Zeit und warum sie sich noch heute politisch engagiert.

Sie wurden 1943 in das KZ Auschwitz inhaftiert. Wie haben sie das überlebt?

„Ich hab sehr großes Glück gehabt. Ich habe erst ganz schwere Arbeit leisten müssen und war schon am Ende meiner Kräfte. Da habe ich gehört, dass eine Gefangene damit beauftragt wurde, nach Häftlingen zu suchen, die ein Instument spielen konnten und ich konnte ja Klavier spielen. Ich sollte den deutschen Schlager „Du hast Glück bei den Frauen Bel Ami“ auf dem Akkordeon spielen. Ich sagte, ich kann das, obwohl ich noch nie ein Akkordeon in der Hand gehalten habe. Aber ich habe mir gesagt, ich muss es schaffen. Auf jeden Fall konnte ich in diesem Orchester Akkordeon spielen, im Mädchenorchester von Auschwitz.

Wir mussten am Tor stehen und spielen, wenn neue Transporte ankamen. Wir haben Musik gemacht mit Tränen in den Augen, weil wir genau wussten, diese Menschen gehen in die Gaskammer. Ich sag immer, das ist das Schlimmste, was mir widerfahren ist.“

Später sind sie dann nach Ravensbrück gekommen.

„Ich habe ungefähr ein halbes Jahr in dem Orchester gespielt. Bei einem Appell wurde nach Häftlingen, die arisches Blut in den Adern hatten, gesucht. Das Internationale Rote Kreuz hat sich dafür eingesetzt, dass Mischlinge aus Auschwitz raus kamen. So kam ich nach Ravensbrück, weil ich eine christliche Großmutter hatte.“

Von Ravensbrück wurden Sie auf einen Todesmarsch geschickt, aus dem Sie fliehen konnten.

„Wir sind auf amerikanische Soldaten getroffen, die uns geholfen haben. Ich wollte weg, irgendwohin, nur nicht in Deutschland bleiben. Schon im September 45 bin ich in Palästina gelandet. Ich habe 15 Jahre in Israel gelebt und dort eine Familie gegründet. In den 1960er Jahren sind wir nach Deutschland gezogen, nach Hamburg.“

Was war für Sie der ausschlaggebende Moment, sich politisch zu engagieren?

„Ich habe ja die ganze Zeit nichts erzählt von meinen Erlebnissen. Auch nicht meiner Familie. Ich habe lange gebraucht, um das überhaupt zu können. Ich habe dann eine Boutique betrieben und eines Tages hat die NPD einen Infostand davor aufgebaut. Ich habe mir angeguckt, was die da so anbieten und festgestellt, das ist genau das selbe wie damals, also ganz furchtbarer Fremdenhass. Aber ich habe auch gesehen, da gibt es Menschen, die dagegen demonstrieren, das hat mich gefreut. Die Polizei hat die Nazis beschützt und ist auf die DemonstratInnen mit Knüppeln losgegangen. Und da habe ich mir gesagt, so geht das nicht weiter. Jetzt werde ich anfangen zu erzählen.“

Sie sind seither in unzähligen Schulen gewesen und haben Ihre Geschichte erzählt.

„Die SchülerInnen reagieren wunderbar. Ich kriege Briefe und sie sagen, Frau Bejarano, Sie brauchen keine Angst haben, wenn Sie einmal nicht mehr leben, wir werden Ihre Geschichte weitererzählen. Also was Schöneres kann man sich ja gar nicht vorstellen.“

Wie sehen Sie die aktuellen politischen Ereignisse in Deutschland und Österreich?

„Ich finde es wirklich eine Katastrophe. Das ist der Anfang von dem, was damals war. Ich sehe sehr viele Parallelen. Damals gab es auch ganz viele verschiedene Nazi-Gruppen, die haben sich nachher zusammen getan. Oder zum Beispiel die Cartoons in Frankreich, die gegen Moslems gemacht werden, die gab es damals im Stürmer gegen die Juden. Ich sehe da sehr viele Parallelen und das macht mir Angst. Aber diese rechtspopulistischen Parteien wie die AFD oder PEGIDA gibt es nicht nur in Deutschland sondern in ganz Europa. Da gibt es eine ganz große Rechtslastigkeit und das ist gefährlich. Ich halte viele Reden und ich sage immer, alle Antifaschisten und Antifaschistinnen, ganz egal, welcher Coleur, müssen zusammenstehen. Man muss gemeinsam gegen diese schreckliche AFD und PEGIDA vorgehen. Wenn das nicht passiert, sehe ich schwarz. Darum gehe ich ja in die Schulen. Ich finde, es ist das allerwichtigste, dass die Jugend erfährt, was damals passiert ist.“

„Der Satz ‚Wehret den Anfängen‘ ist längst überholt! Wir sind mittendrin!“

Ihre Flucht aus Deutschland wurde verhindert. Ihre Eltern und Ihre Schwester wurden ermordet, Sie sind ins KZ gekommen. Wie beurteilen Sie mit dieser Geschichte die heutigen Fluchtbewegungen nach Europa?

„Alle Flüchtlinge, die aus ihren Ländern fliehen müssen, weil sie eben ihres Lebens bedroht sind, die müssen unbedingt aufgenommen werden. Zum Beispiel meine Schwester Ruth, die wollte mit ihrem Mann in die Schweiz fliehen und wurde wieder zurückgeschickt auf deutschen Boden, wo sie erschossen wurde.“

Abschließend, was möchten Sie uns als Botschaft mitgeben?

„Man muss ganz vorsichtig sein, dass die Rechten die Menschen nicht krallen können. Und wir müssen gegen diesen schrecklichen Rechtsruck angehen. Das ist etwas, was ich mir wünsche, dass alle zur Besinnung kommen und begreifen, so kann es nicht noch einmal kommen. Und dass nie wieder geschehe, was damals geschah.“

Danke vielmals.

Eine außergewöhnliche Band mit einem Auftrag

Rappen gegen Rechts. Außergewöhnlich und mit Sicherheit einzigartig. Das ist die deutsche Rap-Band Microphone Mafia, die gemeinsam mit der 92jährigen Esther Bejarano auf Einladung der Gesellschaft für Kulturpolitik im Central in Linz aufgetreten ist. Ihre gemeinsame Botschaft ist klar: „Nie wieder Faschismus!“ Und dieser Auftrag lässt die deutsch-italienisch-türkische Band eng zusammenwachsen. „Esther hat Rossi und mich bereits adoptiert. Wir sind eine Familie“, sagt Sänger Kutlu.

Entstanden ist dieses außergewöhnliche Ensemble aus einem CD-Projekt gegen rechte Musik, die in deutschen Schulen verteilt wurde. Dagegen was zu tun, war für Esther Antrieb, sich der Microphone Mafia anzuschließen. „Rappen, das ist nicht so mein Ding, aber mit den Rappern kann ich die Jugend erreichen. Das ist modern und kommt an. So habe ich mich entschlossen, ich mache mit den Rappern weiter“, beschreibt Esther ihre Motivation, sich auf das Projekt einzulassen. Über 200 Auftritte hat Esther seither gemeinsam mit Sohn Joram und den Rappern Rossi und Kutlu bereits absolviert, zuletzt reiste sie nach Kuba.

Esther ist die treibende Kraft der Band. Das Vorlesen, Erzählen und Singen ist ihre späte Rache an den Nazis.

Buchtipp:

Artikelfoto: Volker Weihbold