ÖVP & FPÖ kürzen Förderung für Mauthausen Komitee in Gallneukirchen wegen FPÖ-kritischen Äußerungen

In der vergangenen Gemeinderatssitzung in Gallneukirchen vom 13. Dezember 2018 haben ÖVP und FPÖ einen Antrag der Freiheitlichen auf Kürzung der Förderung für das örtliche Mauthausen Komitee von 4.000 auf 2.500 Euro beschlossen. Grund dafür war die Aufzählung der rechtsextremen „Einzelfälle“ in den Reihen der FPÖ in der Gedenkrede vom Autor Thomas Baum am 4. Februar 2018 bei der Gedenkveranstaltung in Gallneukirchen.

„Ich bin entsetzt über die Vorgehensweise von FPÖ und ÖVP in Gallneukirchen. Es ist erschreckend, wenn dem Mauthausen Komitee die Förderung gekürzt wird – gerade im Gedenkjahr 2018 – weil bei einer Gedenkveranstaltung kritische Worte fallen,“ zeigt sich die Mühlviertler Abgeordnete und SPÖ Sprecherin für Gedenkkultur, Sabine Schatz, empört. „Das ist ein klarer Versuch, FPÖ- und RegierungskritikerInnen mundtot zu machen oder einzuschüchtern, die ÖVP spielt mit. Unfassbar!“

Mit seiner Genehmigung habe ich die Rede von Thomas Baum vom 4. Februar in Gallneukirchen hier zur Nachlese veröffentlicht. Weil ich der Ansicht bin, dass viele sie lesen sollten!

Thomas Baum
Rede bei der Gedenkkundgebung beim örtlichen „Mahnmal für den Frieden“, Gallneukirchen
4. 2. 2018

Sehr geehrte Damen und Herrn,
bei der Recherche und beim Schreiben des Stückes „Der Fall Gruber“, das in der vergangenen Woche in der Pfarrkirche in Gallneukirchen zu sehen war, habe ich wieder einiges über unsere jüngere Vergangenheit gelernt. Und über unsere Gegenwart. Im Februar 1918, also vor hundert Jahren, wenige Monate vor dem Ende des 1. Weltkriegs, der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, war der Priester und Pädagoge Johann Gruber 29 Jahre alt. Er war ein neugieriger, wissbegieriger, beharrlicher, von sich selbst überzeugter und sehr kritischer Mensch. Diese Charakterzüge waren nicht unbedingt systemverträglich. In der Zwischenkriegszeit, den Jahren eines höchst wackeligen Parlamentarismus und eines mehr und mehr erstarkenden Nationalsozialismus, legte sich Gruber vornehmlich mit der Kirche an. Die sich, genauso wie andere Institutionen, nach der alten, monarchistischen Ordnung mit einem geregelten Oben und Unten sehnte. Und der es überhaupt nicht passte, dass sich Gruber hierarchischen Regeln und Anordnungen sogar mit einer gewissen Sturheit widersetzte.
Als Lehrer in einem Waisenhaus und Direktor einer Blindenanstalt war Gruber immer ganz nahe bei den Schwachen und Unterdrückten, seine Form von Seelsorge hat er das genannt, und er hat den Kirchenobersten wahrlich nichts geschenkt. Unnachgiebig hinterfragte er die althergebrachten Gepflogenheiten, er zeigte Unzulänglichkeiten auf und strebte Veränderungen an.

Aus heutiger Perspektive sind das Eigenschaften, die wir uns von einer wachen, aufmerksamen und starken Zivilgesellschaft wünschen. Den Mut, die politischen Gegebenheiten nicht einfach hinzunehmen, Missstände und Ungerechtigkeiten offen zu benennen und – im Rahmen der demokratischen Möglichkeiten – auch Widerstand zu leisten. Der aktuelle politische Zustand in Österreich zeigt uns mit aller Deutlichkeit, dass diese Aufmerksamkeit nicht rasten darf. Dass es diese Zivilcourage braucht. Weil sonst wieder salonfähig wird, was ich als Wiederbetätigungsprovokationen bezeichnen möchte. Wir kennen das schon: Jedem braunen Rülpser folgt verlässlich eine Relativierung mit naiver Unschuldsmine.

Der Querulant Johann Gruber hat sich für seine Unangepasstheit schmutzige Intrigen und böse Verleumdungen eingehandelt. Nach dem Einmarsch der Hitlertruppen 1938, also vor achtzig Jahren, hat die offizielle österreichische Kirche die Ideen und die Ideologie des Nationalsozialismus freundlich willkommen geheißen. Es ist, hieß es in einem Brief des Kardinals und Erzbischofs Innitzer, „für uns Bischöfe selbstverständlich nationale Pflicht, uns
als Deutsche zum Deutschen Reich zu bekennen“. Die oberösterreichische Kirchenführung hat die Gelegenheit genützt, die Auseinandersetzungen und Probleme mit Johann Gruber loszuwerden. Sie hat den aufmüpfigen und lästigen Priester den Nazis überlassen. Und dann kam Gruber in die Mühlen der Reichsjustiz. Er musste neben einer geifernden Medienhetze einen haarsträubend manipulativen Gerichtsprozess und seine Verurteilung erleben. Unter anderem wegen Aufwiegelung und Verbreitung falscher beunruhigender Gerüchte über den Nationalsozialismus und Adolf Hitler.Seine nächsten Stationen hießen Justizanstalt Garsten und die Konzentrationslager Dachau und St. Georgen an der Gusen. Der Vorhof zur Hölle. Wo, so wie auch im Konzentrationslager Mauthausen, unzählige Häftlinge zu Tode geschunden wurden. Wo erniedrigte und ausgehungerte Gestalten – als besonders perfide Spezialität – mit eiskaltem Wasser unter fürchterlichen Qualen totgebadet wurden. Oder sie wurden in einem der Todesblocks vergast, die von den Nazis mit unerträglichem Zynismmus als „Bahnhöfe zum Paradies“ bezeichnet haben. Aber wieder blieb Gruber seiner grundsätzlichen Haltung treu. Als Museumskapo offiziell mit der Gestapo kooperierend, betrieb er im Untergrund ein hochriskantes, illegales, ausgeklügeltes und enorm effizientes Hilfsnetzwerk. Bis er aufflog. Bis er, wie so viele andere auch, grausam gefoltert und umgebracht wurde.

Ich kann mir schon vorstellen, warum sich gar nicht so wenige wünschen, dass wir uns doch bitte nicht schon wieder mit diesem dunkelsten Kapitel unserer jüngeren Vergangenheit beschäftigen. Warum viele sagen, es reicht, wir wollen darüber nichts mehr hören, lasst diese Geschichten doch endlich ruhen. Ich kann gut verstehen, warum man den Blick davon abwenden und auf etwas anderes richten will. Weil die damaligen, entsetzlichen Geschehnisse so unglaublich beschämend sind. Weil wir uns selbst im Spiegel sehen. Weil wir dabei erkennen müssen, wozu entfesselte, von einer wahnsinnigen, abartigen Idee vollkommen vergiftete Menschen fähig sind. Welch widerliche, abscheuliche Taten sie begehen können. Angefeuert durch das Kollektiv. Als besinnungsloser, psychotisch irrer Mob bei zumeist erschreckend klarem Verstand. Ja, dieses Erinnern löst zu Recht tiefe Schamgefühle, unendliche Trauer und fassungsloses Entsetzen aus. Aber wir dürfen es uns, unseren Kindern und Kindeskindern und den Generationen nach ihnen nicht ersparen, uns dieser Schuld immer wieder zu stellen. Weil etwas in dieser Tragweite nie wieder passieren darf.

Die politische und gesellschaftspolitische Firewall gegen den kollektiven primitiven Reflex, gegen die reaktionäre Wucht der Masse, sind die Spielregeln unsere Demokratie. Wir können uns hochglücklich schätzen, in einem staatlichen System mit freien Wahlen, einem Mehrheits- und Konsensprinzip und dem Schutz von Minderheiten zu leben. Es ist ein mühsam erarbeitetes, wunderbares Geschenk, dass wir zur Akzeptanz einer politischen Opposition verpflichtet sind, zur Gewaltenteilung, Verfassungsmäßigkeit, zum Schutz der Grund- und Bürgerrechte, und zur Achtung der Menschenrechte sowie der Meinungs- und
Pressefreiheit.

Vielleicht ist es Ihnen in den letzten Monaten und Jahren ähnlich wie mir gegangen: die politischen Entwicklungen in Polen und Ungarn, ganz zu schweigen von der Türkei, haben mir wieder bewusst gemacht, wie schnell dieser so konstruktive und wichtige politische Grundkonsens einbrechen kann. Wie schnell es zum Beispiel wieder gefährlich sein kann,seine Meinung laut zu äußern und Kritik am politischen System zu üben. Aber wir müssen nicht unbedingt über die Grenze schauen. Alleine die letzten Wochen nach der Nationalratswahl haben wieder einmal gezeigt, was abgeht, wenn die Schranken fallen. Wehe, wenn sie losgelassen. Da häufen sie sich dann, die berühmten Einzelfälle. Zu Weihnachten hat ein Gemeinderat aus dem niederösterreichischen Krumbach als Weihnachtsgruß ein Bild gepostet, das von der nationalsozialistischen „Frauen-Warte“ aus dem Jahr 1943 stammt. Ein Link führt zu einem Youtube-Video mit dem Titel „Wehrmacht, stille Nacht“, Ende Dezember wurde ein Foto veröffentlicht, auf dem ein Mitarbeiter der Welser Stadtwache und somit des Welser Bürgermeisters mit einer Hakenkreuzfahne zu sehen ist. Zum Jahreswechsel liked ein Gemeinderat in Niederösterreich ein Lied einer Rechtsrock- Band. Mitte Jänner meint der österreichische Innenminister, ein sehr sprach- und wortbewusster und im Umgang mit Medien hochversierter Mann, dass er Asylwerber in Zukunft konzentriert an einem Ort halten will. Als Anspielung auf Konzentrationslager will er das aber nicht verstanden wissen. Gleich danach wird bekannt, dass ein Flachgauer Funktionär mit einem Wunschkennzeichen mit der Zahl 88 unterwegs ist, einer Ziffernfolge, die als Nazicode für „Heil Hitler“ steht. (H ist der achte Buchstabe im Alphabet). Erst vor wenigen Tagen rufen FPÖ-Politiker auf Facebook zur Hetze gegen eine kritische Journalistin auf. Als erschreckender Höhepunkt taucht in der Burschenschaft Germania, in der ein niederösterreichischer FPÖ-Spitzenkandidat Vizeobmann war, ein Liederbuch auf, dessen grässliche Textzeilen inzwischen hinlänglich bekannt sind. Über dieses Liederbuch wird heftig diskutiert, während wir hier jener über 500 sowjetischen Häftlinge gedenken, die im Februar 1945 nach einem Großausbruch aus dem KZ Mauthausen hier im Mühlviertel brutal und grausam gejagt und ermordet wurden.

73 Jahre danach, im Februar 2018, hat sich unsere unrühmliche Vergangenheit wieder ins Zentrum unserer Gegenwart geschoben. Aber, und jetzt kommt das so Positive, unsere demokratischen Grundregeln haben funktioniert, es wurden sehr rasch und unmissverständlich die nötigen Maßnahmen ergriffen. Es ist zu Rücktritten und Ausschlüssen gekommen, die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verstoßes gegen das Verbotsgesetz. Die politischen Repräsentanten unserer Republik haben, allen voran der Bundepräsident, deutliche Stellungnahmen abgegeben. Und auch die große öffentliche, auch internationale Empörung lässt keinen Zweifel zu: Antisemitismus und die Verherrlichung von Massenmord und der Ideologie des Nationalsozialismus sind mit aller Strenge zu bestrafen, man muss sie, wie es Bundespräsident Van der Bellen eingefordert hat, im Keim ersticken. Nein, meine Damen und Herren, wir leben nicht in zwischenkriegsähnlichen Zeiten wie damals in den 1920 und 1930er Jahren. Den allermeisten von uns hat die Gnade der späten Geburt ein Leben in Sicherheit, Freiheit und Frieden geschenkt. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich, das ist auch nicht in Stein gemeißelt, deshalb braucht dieses unglaublich kostbare Gut unsere Mitarbeit, unser Mitdenken und unser engagiertes politisches Bewusstsein. Und unser beständiges Erinnern. Bei all dem könnten wir es mit Johann Gruber halten: es besser jeden Tag ein kleines Licht anzuzünden, als über die Dunkelheit zujammern. Vielen Dank.